Durchbeißen Part 1
Ich drehe das Lenkrad nach links und bringe den Wagen am Rand der maroden Landstraße zum stehen. Es riecht muffig und meine Sicht nach hinten und seitlich hinaus ist stark eingeschränkt. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht steige ich aus dem Auto. Wie die warme Frühlingsluft meine Lungen, durchfließt die Vorfreude meinen ganzen Körper.
Nach all dem Prüfungsstress des letzten Jahres endlich wieder Angeln, Angeln mit freiem Kopf und vollem Focus.
Zudem scheint Petrus mir gnädig zu sein, denn das Wetter könnte besser nicht sein, um direkt voll durchzustarten. Die Temperaturen haben in den letzten Wochen heftigst angzogen und die Wassertemperatur ist deutlich schneller als erwartet auf über 14 Grad gestiegen. Das sollte passen, und in ein paar Wochen spätestens sollten die dicken Mammis auch die ersten Fresskicks schieben. Einfach alles schien mir in den Plan zu spielen.
Meine Jungs hatten in den letzten Wochen ordentlich zugelangt und auch meine wenigen Stunden am Wasser in diesem Jahr waren mehr als erfolgreich.
Gleich im Januar ging es trotz wenig Zeit schon richtig anne, ich wollte weitermachen, wo ich aufgehört hatte…
Alle Zeichen standen auf Erfolg.
Höchst motiviert wurden die Montagen in den flachen Bereichen vor und im Holz verteilt. Schon beim Ablegen der zweiten Rute schwamm ein ordentlicher Schuppi seelenruhig unterm Boot hindurch. „Das kann nur knallen“, dachte ich mir während ich das Boot mit kräftigen Paddelschlägen wieder zurück zum Ufer manövrierte.
Am Ufer angekommen stieg ich aus dem Boot. Einen Blick nach rechts werfend wunderte ich mich über das leere Zelt meines Angelpartners, vernahm aber fast zeitgleich ein leises Pfeifen von links. Niko stand einige Meter weiter am Ufer, hatte die Fische in einer kleinen Bucht lokalisiert und winkte mich heran. Langsam trat ich zu ihm. An der Oberfläche waren die Schatten trotz der sich spieglenden Sonnenstrahlen deutlich zu erkennen. Wir zählten mehr als zehn Fische, dabei einige Gute. Ungewöhnlich für See und Jahreszeit war der Ort des munteren Treibens insoweit, als dass die Fische sich in den letzten Jahren ausschließlich in den inselnahen Flachwasserbereichen aufgehalten hatten. Die kleine Bucht hingegen war meines Wissens nach niemals von solch einer Vielzahl von Fischen aufgesucht worden. Kurzerhand stieg ich, die letzte Rute im Anschlag, wieder ins Boot und ließ mich vom leicht aufkommenden Wind auf den Bereich zutreiben. Im Boot stehend konnte ich mitten im Kraut ein 2*2m messendes Krautloch ausmachen. Tatsächlich, sie scheinen hier auch zu fressen dachte ich mir während ich den weißen Pop-Up vorsichtig auf den Fraßfleck herunterkurbelte. Einige auffälige Boilies drumherum sollten es für diese Falle tun.
Ein ordentliches Pop-Up-Rig mit wenig aber auffälligem Futter platziert in einem kleinen Krautloch…Im Frühjahr eine echte Waffe…
Als alle Ruten auf ihren Plätzen lagen, machte sich endlich wieder einmal die Entspannung breit und wir ließen den Abend mit einigen guten Gesprächen bei einer (!) Flasche Bier ausklingen. Als ich mich unter meinen Schirm begab, war ich sicher nicht durchschlafen zu müssen…
Als ich am nächsten morgen um 10.30 Uhr die Augen öffnete machte sich Ernüchterung breit. Nicht, dass sich meine oben genannte Erwartung nicht erfüllt hätte. Nein, von durchschlafen konnte keine Rede sein. Brassen, Brassen, Brassen….
Auch ein Ausharren bis in den Nachmittag hinein brachte uns keinen Zeilfisch mehr ein.
Das Einpacken war trotz Allem halb so wild. Das Gefühl zu wissen, in 1-2 Tagen nach freiem Gusto wieder ans Wasser fahren zu können und eine neue Chance zu bekommen, kam mir fast komisch vor nachdem meine Angelzeit im Jahr zuvor zwangsweise lange im Voraus geplant werden musste… Spätestens dann sollte es doch rappeln….
Nur zwei Tage später saß ich bereits wieder unter meinem Schirm. Diesmal an einem überschaubaren verwinkelten See. Wir hatten uns für eine größere Bucht entschieden, die jetzt im Frühjahr viele Sonnenstunden für sich beansprucht.
Gerade in dieser Jahreszeit ist es ungemein wichtig, sich klar zu machen, welche Uferregionen des Sees die meisten Stunden des Tages Sonne abbekommt. Nicht selten weisen diese Bereiche um mehrere Grad höhere Wassetemperaturen auf, als weniger sonnenbeschienene. In der Theorie scheint die Sonne im Osten aufgehend zuerst auf das Westufer um dann gen Süden wandernd das Nordufer zu erwärmen. Folglich sollte rein theoretisch das West- bzw. Nordwestufer die meiste Sonne erblicken. Allerdings wäre es falsch, versuchte man, diese Theorie unreflektiert auf jedes Gewässer zu übertragen. Insbesondere Schattenwürfe und Windeinflüsse müssen immer mit in die Überlegungen einbezogen werden.
„im Osten geht die Sonne auf, im Süden ist ihr Mittagslauf, im Westen wird sie untergehen, im Norden ist sie nie zu sehen.“ – Wer mitdenkt und die wärmeren Bereiche des Gewässers aufsucht, ist im Frühjahr klar im Vorteil.. Immer das Gesicht zur Sonne…
Die Ruten wurden in flachen Bereichen zwischen den langsam wuchernden Krautfeldern verteilt. Gerade im Frühjahr mache ich mir dabei gerne die Vorzüge eine Wathose zu eigen und laufe meine Köder, soweit möglich, am Ufer entlang auf die Plätze. Dies eröffnet mir neben der Gewisseheit einer sauberen Präsentation die Möglichkeit, insbesondere bei der Instant-Angelei mein Futter möglichst perfekt innerhalb der oft kleinen Krautlöcher verteilen zu können.
Der Wetterbericht hatte für die nächsten Tage weiterhin konstante Temperaturen um die 20 Grad mit Sonne prophezeit und unsere Stellenwahl damit maßgeblich beeinflusst.
Nun aber saß ich unter meinem Schirm und der Regen prasselte sinnflutartig auf uns herab. Aus diesem zunächst als heftigen Gewitterschauer interpretierten Schauspiel entwickelte sich ein anhaltender Dauerregen, dessen Prasseln im gleichmäßigem Takt mich schnell in den Schlaf sinken ließ.
Als ich mich am nächsten Morgen aus meinem Schlafsack wälzte, bekam ich die Unangemessenheit meiner Kleidung des Vortages bitterkalt zu spüren. Ein Blick aufs Thermometer verschaffte Sicherheit. Temperatursturz von 23 auf 9,5 Grad, Dauerregen und meine Ruten liegen auf 0,6 bis 1,8m Wassertiefe, da kommt doch Freude auf.
Mangels tiefergelegenen Alternativen an diesem Platz gab es keine Wahl. Moven war angesagt.
Nebel auf dem Wasser und Tau auf den Blanks… Temperatursturz um mehr als 10 Grad… Moven war angesagt!
Als der überladende Trolley das dritte mal im lehmigen Matsch einsank, meine Klamotten aussahen, als hätte ich gerade ein Kreisligaspiel auf verregnetem Ascheplatz samt Verlängerung hinter mich gebracht, atmete ich tief durch. Der Weg vor mir spaltete sich, rechts zum Auto links weiter zum anvisierten Platz. Was war geblieben von den perfekten Bedingungen und der Euphorie die mich wenige Tage zuvor fast hätte zu Luftsprüngen treiben können…
Mit einem unterdrückten Wutschrei forcierte ich den Trolley aus dem Schlammloch, wischte mir die nassen Strähnen aus dem Gesicht und schob nach links.
Aufgeben war keine Option!
to be continued…