Wer kennt es nicht? Nach Stunden, manchmal Tagen oder gar Wochen ohne Biss läuft endlich die Rute ab. Freude pur! Doch schnell schlägt sie um, wenn sich der heiß ersehnte Fisch dann festschwimmt. Kein Vor, kein Zurück. Rien ne va plus – Nichts geht mehr! Manchmal könnte man die Rute dann einfach so hinterher schmeißen! So zumindest ging es mir Anfang Oktober, verloren auf einem kleinen Boot ganz alleine in der Mitte des Sees.
Obwohl ich ruckzuck bei der Rute war, schaffte es der Fisch in ein Hindernis. Da ich keinen Zentimeter Schnur mehr auf die Rolle bekam war klar: Kraut ist das nicht! Auch das Echolot verdeutlichte mir ohne Raum für Interpretationen: Baumstämme! Anstatt jetzt mit Gewalt vorzugehen, war mir bewusst, dass hier ausschließlich eine ausdauernde, diplomatische Lösung noch den Erfolg bringen kann: Das Einfangen der Schnur hinter dem Hindernis.
Ohne Boot würde sich diese Vorgehensweise natürlich extrem schwierig gestalten, aber wenn man hingegen direkt über die Stelle rudern kann, funktioniert das in den allermeisten Fällen gut. Viele, viele Fische konnte ich so schon aus den verschiedensten Hindernissen aus den unterschiedlichsten Gewässern mit etwas Ausdauer und Geschick noch fangen: Aus den urigen, überfluteten Auwäldern im Rheintal, aus den großen Flachlandseen mit ihren fetten Wurzeln und aus den Kiesgruben meiner Heimat mit ihren Kanten und jeder Menge Unrat. Und so wollte ich es auch dieses Mal probieren: Mit der Ersatzrute tastete ich im Halbkreis den Boden hinter dem Hindernis ab und versuchte die Schnur dort einzufangen. Bedingt durch einsetzenden Wind, der mich immer wieder von der Stelle weg trieb, musste ich dieses Mal mein Bemühen jedoch schnell aufgeben. Ich hatte einfach keine Chance mich mit dem Boot über der Stelle zu halten, die festhängende Rute auf leichter Spannung zu halten und zeitgleich noch mit der zweiten Rute den Boden abzutasten. Das alles bei Nacht, versteht sich. Aber aufgeben? – No way!
Anhand des Schlagschnurknotens, der sich bereits auf der Rolle befand und dem Wissen, dass es unter mit 7m bis zum Grund sind konnte ich abschätzen, dass der Fisch nicht weit vom Hindernis wegstehen sollte. Keine guten Bedingungen um die Schnur zu fangen, schließlich ist es umso einfacher, je weiter der Fisch vom Hindernis wegläuft, nachdem er dieses durchschwommen hat. Also brauchte der Fisch erstmal Zeit! Folglich legte ich meine Rute wieder auf den Bankstick und schob mich wieder in den Schlafsack, immer in der Hoffnung, dass der Fisch doch nochmal weiterläuft und mir später, wenn der Wind nachlässt, eine neue Chance gibt! Schon bald war es dann soweit: Die Rute lief wieder ab, der Bissanzeiger schrie im Dauerton. Damit war klar, dass der Fisch noch dran war und sich nun freischwimmen wollte. Und jeden Meter Schnur, den er so von meiner Rolle zog und vom Hindernis wegschwamm spielte mir in die Karten. Also lies ich ihn erstmal laufen.
Als der Wind dann schwächer wurde war es selbstverständlich, dass ich jetzt meine zweite Chance nutzen wollte. Nach zwei, drei Versuchen fing ich tatsächlich die Schnur hinter den Baumstämmen, biss sie durch und knotete sie schnell wieder zusammen, nachdem ich das lose Ende unter dem Hindernis hervorgezogen hatte. Der Fisch saß dann kurz im Kraut fest, was sich jedoch als absolut unproblematisch herausstellte und mit etwas Druck zu lösen war. Kurze Zeit später – endlich nach einem Drill im Freiwasser – war er im Netz! Fett!
Natürlich ist diese Vorgehensweise nur eine Notlösung und auch bei der Spotwahl gilt der Grundsatz: Vorsorgen ist besser als Heilen. Dennoch lassen sich bombenfeste Hänger nicht immer vermeiden und die oben dargestellte Strategie funktionierte prima, wenn kein anderer Weg mehr hilft! Zurückblickend auf die vergangenen Jahre schätze ich die Erfolgsquote von mir und meinen Kumpels bei dieser Vorgehensweise auf über 75%! Mit anderen Worten: Drei von vier Fischen, die ich früher abgerissen hätte, lande ich heute sicher! Das einzig Wichtige ist, dass man beim Einfangen der eigenen Schnur nicht so schnell aufgibt und solange probiert, bis man sie am Haken der Ersatzrute hat!
Simon Gehrlein